Natanael – der belesene Skeptiker

Die Story:

Natanael taucht nur im Johannesevangelium an zwei Stellen auf – zu Beginn des Evangeliums im Kontext der Berufung der ersten Jünger Jesu (Joh 1,46–51) und schließlich am Ende in der Erzählung von der Begegnung einiger Apostel mit dem Auferstandenen am See von Tiberias (Joh 21). Sein melodisch klingender Name stammt aus dem Hebräischen und bedeutet „Gott (el) hat gegeben (natan)“ bzw. „Gottesgabe“ oder „Gottesgeschenk“. Doch wer war dieser Natanael eigentlich? Was können wir durch das Johannesevangelium über ihn in Erfahrung bringen?

Johannes berichtet uns, dass er in Kana, einem Ort in Galiläa, der aufgrund einer besonderen Hochzeitsfeier mit prominenten Gästen Weltbekanntheit erlangte, aufwuchs. Einige TheologInnen vermuten, dass Natanael mit dem Apostel Bartholomäus gleichzusetzen sei, dessen eigentlicher Name Natanael Bar-Tolmai, also Natanael, Sohn des Tolmai, lautete. Sein Beruf war womöglich Schriftgelehrter oder zumindest Schriftgelehrtenschüler. Dies könnte auch erklären, warum Natanael zunächst kritisch gegenüber Jesus und seiner Bewegung eingestellt ist. Als Philippus ihm begeistert von Jesus als dem von Mose und den Propheten angekündigten Messias erzählt, stellt Natanael, der sich in der Tora bestens auskennt, die skeptische Rückfrage, ob denn aus Nazaret überhaupt etwas Gutes kommen könne. Darum fordert ihn Philippus auf, sich selbst ein Bild von Jesus zu machen. Als er dann Jesus zum ersten Mal begegnet und dieser weiß, wer Natanael ist, ohne ihn vorher schon einmal getroffen oder von ihm gehört zu haben, erkennt Natanael in Jesus den Sohn Gottes. Jesus hält Natanael für einen „echten Israeliten, an dem kein Falsch ist“, also einen besonders ehrlichen, frommen Juden, der zu seiner Skepsis steht und die Dinge lieber zuerst hinterfragt, bevor er sie glaubt.

Als Natanael dem Auferstandenen am See von Tiberias begegnet, haben er, Petrus, Thomas, Jakobus, Johannes und zwei andere Jünger, deren Namen nicht genannt werden, eine erfolglose Nacht auf dem Fischerboot hinter sich. Am frühen Morgen erscheint ihnen Jesus am Ufer des Sees. Seinem Ratschlag folgend, das Netz an der rechten Seite des Bootes auszuwerfen, können die Jünger den Fang kaum einholen. Da erkennt Johannes, der Lieblingsjünger Jesu, seinen Herrn. Anders als Petrus, der sogleich ins Wasser springt, um zu Jesus zu gelangen, hilft Natanael den übrigen Jüngern, den schweren Fang an Land zu bringen. Ganz seiner zurückhaltenden Art entsprechend bleibt er im Hintergrund. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Natanael eine wichtige Aufgabe hat: Er hilft beim Einholen der Fische und liefert damit die Grundlage des gemeinschaftlichen Essens mit Jesus. Im übertragenen Sinn ist er, wie die anderen Apostel, zum Menschenfischer geworden – dies allerdings nicht wie Petrus in der ersten, sondern in der zweiten Reihe.

Natanael ist, wie wir nun wissen, definitiv kein Mitläufer, der gleich auf jeden Zug aufspringt. Er bekennt sich erst zu Jesus, nachdem dieser seine Gottessohnschaft durch Zeichen erwiesen und Natanael so von sich überzeugt hat. Danach gehört er zum engsten Kreis der Apostel und ist von der Seite Jesu nicht mehr wegzudenken. Von seiner Geschichte können wir lernen, dass es wichtig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dazu bedarf es aber der Bereitschaft, Vor-Urteile zu erkennen und hinter sich zu lassen, und der Offenheit, sich auf neue Situationen und besondere Begegnungen einzulassen.

Die Botschaft:

  • Wie Natanael bist auch du ein besonderes Geschenk Gottes mit unverlierbarer Würde.
  • Versuche besonderen Situationen offen zu begegnen und lass dich nicht von deinen Vorurteilen begrenzen. Wachstum passiert außerhalb deiner Komfortzone.
  • Man kann nur von einem Menschen oder eine Sache restlos überzeugt sein, wenn man sich auch mit kritischen Aspekten auseinandergesetzt hat. Ein gewisses Maß an Skepsis kann dabei durchaus gesund sein.
  • Glaube und Nachfolge Jesu kennt viele verschiedene Wege. Nicht jeder ist fürs Scheinwerferlicht geschaffen. Die wichtigste Arbeit geschieht meistens hinter den Kulissen.

Zum Weiterlesen:

  • Joh 1,46-52: Natanael trifft zum ersten Mal auf Jesus und erkennt in ihm den Sohn Gottes.

Aktuell im Lesejahr:

  • 3. Sonntag der Osterzeit: Natanael begegnet dem Auferstandenen am Ufer des Sees von Tiberias. (Joh 21,1-19)

Britta Mühl, Religionslehrerin und Redaktionsassistentin bei „Geist & Leben, Ehrenamtliche der KJÖ